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Stress. Allein schon bei dem Anblick dieses Wortes stellen sich dir wahrscheinlich die Nackenhaare auf, dein Puls ist leicht angestiegen und dein Gehirn stellt auf „Kampfmodus“ um. Denn du hast ja noch einiges, was du eigentlich erledigen wolltest, ließt dir aber stattdessen diese Zeilen durch. WARTE! Bevor du gehst, möchte ich dich davon überzeugen, dass es vielleicht doch klug wäre, für einen Moment länger bei mir zu verbleiben und diesen Artikel zu lesen. Warum, fragst du dich? Ganz einfach: Wenn du dich ein Wenig mit Stress auseinandergesetzt hast, du verstehst, was Stress eigentlich ist, was sich in unserem Körper unter Stress verändert, dass es verschiedene Arten von Stress gibt und dass das Empfinden von Stress und der Umgang damit ganz viel mit deinem inneren Bild und deiner mentalen Einstellung gegenüber Stress zu tun hat und das letzteres genau der Dreh- und Angelpunkt für einen besseren Umgang mit Stress ist, dann zeigt sich dir folgendes Feld auf: Eine geringe Investition, in die richtigen Ressourcen und Strategien und schon kannst du dich mit einem stressfreieren Leben begnügen.
Du glaubst es nicht? Musst du auch nicht! Aber du bist herzlich dazu eingeladen auszuprobieren und dir dein eigenes Bild zu dem Thema zu machen. Oder so mit dem Thema umzugehen, wie bislang.
"Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist."
Henry Ford
Stress - einfach erklärt
Die Story, die man meistens zu diesem Thema zu hören bekommt, hat immerzu zwei Akteure: einen Säbelzahntiger und einen Urzeitmenschen. Du fragst dich jetzt sicherlich, sag Mal, was hat Ice Age jetzt mit dem Thema Stress zu tun? (Obwohl, ehrlich gesagt, wer stimmt mir darin zu, dass der gesamte Plot um die Haselnuss und das verrückte Eichhörnchen schon sehr nervenaufreibend ist?) – es versucht Stress einfach zu erklären. Ich wage den Versuch jetzt auch einmal, aber auf eine andere Art und Weise.
Um im Kontext der Nüsse zu verbleiben, ist Stress „in a nutshell“ eine Reaktion unseres Körpers auf möglicherweise bedrohliche, auf jeden Fall bis dato unbekannte oder einfach herausfordernde Ereignisse, Umstände, Situationen. Dieser Zustand soll uns auf eine möglichst erfolgreiche Bewältigung dieser Herausforderung vorbereiten. Daher werden in kürzester Zeit alle verfügbaren Ressourcen mobilisiert, die der Bewältigung zugutekommen könnten. Derweil werden alle anderen, gerade zweitrangigen Vorgänge, die sich in unserem Körper abspielen, „auf Eis“ gelegt (doch mehr ice-age, als ich ursprünglich andachte).
Dieser Zustand ist im Besten Falle nicht von langer Dauer. Nach der erfolgreichen Bewältigung dieser herausfordernden Situation, stellt sich im Besten Falle eine Phase der Regeneration und Erholung ein. Prozesse, die soeben nicht primär überlebenswichtig gewesen sind, werden wieder hochgefahren und angestoßen. Außerdem lädt diese Zeit dazu ein, bewusst oder unbewusst, die Strategien, die uns zur Bewältigung der Situation verholfen haben, in unser Arsenal an „Waffen“ zu integrieren. Das bedeutet, dass wir in Zukunft eben auch auf die soeben neu erlernten Methoden und Strategien, zugreifen können.
Dies kling eigentlich nach einem ziemlich plausiblen Vorgang, oder? Geradezu überlebenswichtig und nützlich könnte man meinen! Vielleicht hat sich bereits etwas geringfügig an dem Bild, welches du zum Thema Stress hattest, verändert?
Prinzipiell funktioniert das auch noch heutzutage so, wenn alles „nach Plan“ läuft und wir uns auch genügend Raum und Zeit schaffen, um in Phasen der Regeneration überzugehen. Wenn du aber fühlst, als hättest du einen steten Begleiter mit dem Namen Stress, könnte das ein Indiz dafür sein, dass du womöglich an so genanntem chronischen Stress leidest – mehr dazu aber im Kapitel „Arten von Stress“.
Ich möchte dir nun erstmal die wichtigsten Akteure im Kontext des Stresses vorstellen. Mache einmal Bekanntschaft mit dem charmanten Sympathikus und den bodenständigen Parasympathikus.
Charmanter Sympathikus und bodenständiger Parasympathikus
Wenn wir uns Stress auf physiologischer Ebene ansehen, dann trifft man ganz schnell auf den Begriff „autonomes Nervensystem“. Dass Stress grundsätzlich etwas mit den Nerven zu tun hat, ist dir möglicherweise durch den alltäglichen Sprachgebrauch klar. Aber tatsächlich spielt das Nervensystem, also quasi das körpereigene Netzwerk an Leitungen zur Kommunikation mit verschiedenen Organen und Strukturen, eine fundamentale Rolle bei Stress. Autonomes Nervensystem weißt auf ein bestimmtes Netzwerk hin, welches autonom, also grundsätzlich frei von bewusster Beeinflussung, funktioniert und kommuniziert. Bildlich gesprochen könnte man das autonome Nervensystem als die im Hintergrund ablaufenden Updates verstehen, wenn man WLAN-Zugang mit seinem Endgerät herstellt. Es werden dabei alle „installierten Apps“ abgescannt, mit dem status quo abgeglichen und daraufhin, sofern ein „Leck“ oder „Problem“ identifiziert worden ist, agiert – das neue Update, ohne unser Zutun, heruntergeladen und installiert. Ab und zu müssen wir das Gerät neu starten und freuen uns, dass wir auf dem neusten Stand sind. So ähnlich ist es auch mit unserem autonomen Nervensystem. Es hat zur Aufgabe die gesamtkörperliche Integrität, besser zusammengefasst unter dem Begriff der Homöostase (Gleichgewicht), auf zellulärer und organischer Ebene aufrecht zu erhalten [1]. Die wichtigsten Akteure hierbei sind eben der Sympathikus und der Parasympathikus. Auch gibt es eine weitere Komponente, das so genannte enterische Nervensystem (ENS), welches primär digestive Aufgaben steuert, also unseren Verdauungstrakt auf Achse hält [2].
Die strukturellen Vertreter des Para- und Sympathikus sind, wie soeben bereits besprochen, Nerven. Nerven sind Leitungen, die eine Kommunikation zwischen beispielsweise dem Gehirn und einem Endpunkt, beispielsweise einem Muskel oder Organ, ermöglicht. Dabei entspringen die Nerven des autonomen Nervensystems überwiegend dem Rückenmark. Der Parasympathikus hat noch zusätzlich als großen Vertreter den Vagusnerv – den X Hirnnerven, der Anschluss an fast alle Organe bis hin zu einem bestimmten Dickdarmabschnitt hat. Ab diesem Punkt, auch Canon-Böhmscher-Punkt genannt, übernehmen wieder „Leitungen“ aus dem Rückenmark.
Der Sympathikus ist fast gänzlich vom Rückenmark ausgehend. Eine kleine Variation ist hierbei das Mark der Nebennieren: man kann dieses Gewebe als Auswanderer des sympathischen Nervensystems verstehen, dessen Aktivierung zu einer direkten Ausschüttung von Hormonen führt. Über die Hormone sprechen wir gleich noch.
Was macht den Sympathikus nun jetzt so charmant und den Parasympathikus bodenständig?
Kurz: ist der Sympathikus aktiv, bekommst du weite Pupillen (macht dich nachweislich attraktiver [3]) und begibst dich auf Beutejagt (😉). Ist hingegen der Parasympathikus aktiv, tendierst du politisch korrekt, ressourcenschonend und nachhaltig, auf der Couch zu verbleiben und ein Nickerchen zu machen.
Nun, das mag dem ein oder anderen vielleicht ein wenig platt beschrieben sein, aber ein gewissen Quäntchen Wahrheit ist schon daran. Low et al stellten 2011 die Funktionen des Sympathikus und Parasympathikus gut gegenüber dar [4]:
Charakteristika des charmanten Sympathikus
- Weitblick, Pupillenvergrößerung
- Pulsfrequenzsteigerung, Zunahme der Herzkontraktilität
- Weitung der Bronchien
- Verringerung der Darmaktivität, Nierenaktivität, Blasenspannung
- Schweißdrüsensekretion erhöht
- Haarbalgmuskeln kontrahieren à Aufstellen der Körperbehaarung
- Verringerung des Durchmessers von Blutgefäßen à Drucksteigerung
- Vergrößerung des Durchmessers von Koronarien à verbesserte Herzversorgung
- Muskelversorgung verbessert (Gefäßweitstellung, erhöhter Metabolismus)
- Glukosebereitstellung durch Leber
- Suppression des Immunsystems
Charakteristika des bodenständigen Parasympathikus
- Blick auf kurze Distanz, Pupillenverkleinerung
- Pulsfrequenzabnahme, Abnahme von Herzarbeit
- Engstellung der Bronchien
- Steigerung der Darmaktivität, Nierenaktivität, Blasenspannung
- Schweißdrüsensekretion erniedrigt, erhöht an Handflächen
- Haarbalgmuskeln entspannen
- Kein Einfluss auf die Blutgefäße
- Kein Einfluss auf die Koronarien
- Muskelversorgung auf Erhaltungsmodus
- Glukoseeinspeicherung in der Leber
- Immunsystem aktiviert
Alles in allem stellen diese Auflistungen anschaulich dar, in welchem Zustand sich unser Körper befindet, sofern der eine oder andere Akteur überhand in unserem Organismus nimmt. Der Sympathikus treibt uns in einen so genannten Zustand des „fight, flight, freeze“, wohingegen der Parasympathikus die Funktion des „rest, recover & digest“ übernimmt. Mit dem Sympathikus sind, wie eingangs bereits angedeutet, unsere Ressourcen mobilisiert, unsere Muskeln sind aktiviert und bereit in den Kampf (mit dem Säbelzahntiger) zu treten oder schleunigst die Flucht zu ergreifen. Dazu müssen wir imstande sein, tiefe Atemzüge zu nehmen, um den Körper mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen. Unser Herz muss schneller und kräftiger schlagen können, damit der Sauersoff unsere Muskeln schnell erreicht und damit die aus der Leber herausgelöste Glukose die Zellen füttern kann. Was wir in einem solchen Zustand überhaupt nicht gebrauchen können ist Energieverschwendung. Daher ist das reproduktive System sowie das Verdauungssystem erst einmal im Energiesparmodus und wird nicht weiter beachtet.
Sind wir dann in Sicherheit, so folgt eine Phase der Entspannung. Das ist die Königsdisziplin des bodenständigen und fürsorglichen Parasympathikus. All die Organsysteme, die unter der Herrschaft des Sympathikus gelitten oder missachtet worden sind, bekommen nun ihre wohl verdiente Aufmerksamkeit. Die Tanks werden wieder aufgefüllt (Leber speichert Zucker in Form von Glykogen ein) und man findet wieder Zeit sich mit den wirklich wichtigen Dingen im Leben zu beschäftigen – was gibt’s zum Abendessen?
Definition(en) von Stress
Wenn man in die Wissenschaft schaut und Stress auf eine Definition herunterbrechen möchte, so stoßt man auf einen interessanten Entwicklungsprozess. Denn, das Konzept und Verständnis von Stress und dessen Komponenten, wie es zur Zeit von Hans Selye [5] im Jahre 1936 vorgeschlagen und definiert worden ist (genereller Anpassungsvorgang), ist von heutigem Blickwinkel betrachtet nicht allumfassend und wurde zunehmend vervollständigt. Selye selbst schlug in einer folgenden Publikation eine Erweiterung der Definition von Stress vor [6], welche nicht nur negative Aspekte des Stresses aufzeigte, sondern auch auf positive Wirkungen des Stresses verwies.
Die aktuelle Definition von Stress kann indes als solche beschrieben werden:
"Stress is now defined as a state of homeostasis being challenged, including both system stress and local stress. A specific stressor may potentially bring about specific local stress, while the intensity of stress beyond a threshold may commonly activate the hypothalamic-pituitary-adrenal axis and result in a systematic stress response." [7]
Im Weiteren wollen wir uns dieser Definition nähern, indem wir uns das Wissen über die Bedeutung einzelner Stressbegriffe aneignen, über die Arten von Stress sprechen und uns so ein tieferes Verständnis um die Auswirkungen von Stress aneignen.
Stressbegriffe – Komponenten im Stresskontext
Generell wissen wir, dass zu viel Stress schädlich sein kann. Es steht im Zusammenhang mit verschiedenen Erkrankungen, psychischen Störungen, aber auch Hindernissen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Demgegenüber haben wir gerade gelernt, dass die körperliche Reaktion auf Stress, auf herausfordernde Ereignisse, objektiv betrachtet auch etwas Nützliches sein kann.
Wir wollen nun einmal an einem Modell verstehen, wie es zu gutem oder ungutem Stresserleben kommt und identifizieren, welche Faktoren hier mit einspielen. Hierbei bediene ich mich einer äußerst anschaulichen Darstellung von Lu et al., die 2021 ein wunderschönes Review zum Themenkomplex Stress herausgebracht haben.
1. Ursprüngliches Modell
Eine Stressreaktion wird initiiert, wenn der Bedarf dafür besteht. Das ist sicherlich einleuchtend, da unser Organismus sehr viel Energie für eine Stressreaktion verwendet. Und wir sind als Organismen äußerst energiesparsame Wesen, was uns in Zeiten von Hunger beispielsweise das Überleben gesichert hat. Deshalb bedarf es anfangs eines so genannten Stimulus, während der Endpunkt in einer Reaktion mündet. Der Stimulus ist ein Zustand, welcher einen Stressor aktivieren kann. Dieser Stressor ist dann der Effektor, welcher Stress im Körper induziert und zu einer Stressantwort führt. Diese Stressantwort macht sich dann in einem generellen Endpunkt darstellbar.
Aktuell streiten sich Wissenschaftler noch darüber, inwiefern Stimulus und Stressor unterschiedliche oder dieselben Dinge sind, wo doch bewiesen werden konnte, dass unterschiedliche Stimuli auf unterschiedlichen Ebenen zu verschiedenen Stressantworten des Organismus führten [8]. Der Einfachheit halber können wir das hier aber als ein- und dasselbe verstehen. So können wir an einem Beispiel festmachen:
- Stimulus/Stressor – Der Chef bringt dir einen neuen Auftrag, den du bearbeiten sollst.
- Stress – das bedeutet für dich: noch mehr Arbeit. Du weißt, dass der Klient ein sehr schwieriger Geselle ist und du sehr viel Negotiationsarbeit mit ihm abhalten wirst. Gleichzeitig hast du heute einer Freundin zugesagt, ihre Kleider aus der Wäscherei abzuholen. Die Wäscherei hat aber nur noch genau 48 Minuten geöffnet und eigentlich wolltest du daher früher in den Feierabend gehen.
- Stressantwort – Du merkst, wie dein Puls steigt. Auch dein Atem wird schneller. Auf deiner Stirn zeigen sich diskrete Schweißperlen.
- Effekt/Reaktion – Okay, denkst du dir. Ich schaffe das. Professionell, direkt, und in einer halben Stunde bin ich fertig damit. Los geht’s!
2. Weiterentwickeltes Stressmodell
In diesem erweiterten Stressmodell folgt ein Eingriff des Stressors in die Homöostase des Organismus. Dabei gibt es zwei verschiedene, darauf folgende Reaktionspfade: Entweder, unser Körper ist einem solchen Stressor bereits vormals begegnet und empfindet daher keinen weiteren Stress oder, die Situation wird als „neu“ und „herausfordernd“ interpretiert. Bei letzterem Fall, setzen die vormals beschriebenen Mechanismen ein.
3. Aktuelles Stressmodell
In unserem aktuellen Verständnis, rund um Stress und den Einfluss davon auf unser Verhalten und die Gesundheit unseres Organismus, wird nach verschiedenen Arten von Stress unterschieden. Diese sind definiert als Sustress, Distress und Eustress und sollen Gegenstand des folgenden Abschnitts sein.
Arten von Stress - Eu-, Sus- und Distress
Stand heute kennen wir drei verschiedene Geschmacksrichtungen von Stress:
- Eustress
- Distress
- Sustress
Dabei sind aller Wahrscheinlichkeit nach, die ersten beiden die bekanntesten.
- Eustress, also Stress mit der griechischen Vorsilbe eu-, kann als „guter“ oder „förderlicher“ Stress gelesen werden. Dabei macht uns dieser Pfad klar, dass bei der Begegnung von bewältigbaren Herausforderungen, Situationen, Prozessen, etc. unser Organismus in der Lage ist, diese nicht nur zu überstehen, sondern auch daran zu wachsen. In toto adaptieren wir uns an neue Umstände, fühlen uns gestärkter, haben unsere Fähigkeiten ausgeweitet und sind daher auch in Zukunft auf herannahende Stressoren in dieser oder ähnlicher Form vorbereitet. Eustress empfinden wir auch, wenn wir trainieren gehen. Der Reiz, dem wir uns aussetzen (zum Beispiel ein schwereres Gewicht, als wir üblich zur Hand nehmen) ist zunächst eine Herausforderung. Wenn wir uns nicht allzusehr überschätzt haben, werden wir mit etwas mehr Anstrengung als gewohnt in der Lage sein, auch dieses Gewicht zu stemmen. Als Reaktion darauf, signalisiert unser Körper daraufhin den Muskeln, dass diese doch bitte ein wenig stärker werden sollen (plakativ gesprochen). Wir haben einen Zugewinn an Kraft und einen Trainingseffekt.
- Was ist nun, wenn wir ein zu schweres Gewicht genommen haben oder, uns mental nicht in der Lage dazu sehen, das von uns gewählte Gewicht zu stemmen (in der Birne liegt die Kraft!)? Unser Körper verfällt in so genannten Disstress. Wieder eine andere Vorsilbe, nämlich dis-, was soviel heißen soll, wie „unguter“ oder „schlechter“ Stress. Disstress führt zu einer übermäßigen Stressaktivierung des Organismus. Der Körper, die Physiologie oder unser mentale Status quo ist auf diese Hürde nicht gewappnet und stellt die Alarmglocken an. Im schlimmsten Fall kommt es zu Unfällen oder Verletzungen (zum Beispiel ein Muskelfaserriss), im besten-schlimmsten Fall verbleiben schlechte Erinnerungen, Ängste und ein mentales Trauma. Welche Langzeitfolgen das haben kann, kommt in Kürze.
- Was ist nun, der so genannte Sustress? Su- als Vorsilbe kann als „unter“ oder „sub-“ verstanden werden und lässt sich in einen inadäquaten Stress übersetzen. Inadequat, also ungenügender Stress? Hier greift das Sprichwort sehr gut: Wer rastet, der rostet. Wenn wir uns wieder in die Muckibude begeben würde das so aussehen, dass du für immer nur ein- und dasselbe Gewicht stemmst und immerzu die gleichen Übungen ausführst. Im Prozess kommt es zu einer Anpassung an ebendiese einseitige Belastung und der Körper baut an anderer Stelle die „unnötige“ Muskulatur ab. Netto ist der Körper dadurch sogar noch geschwächter, als zu Beginn. Also: immer schön die Trainingsreize ändern (:
Arten von Stress - Chronischer und Kurzzeitiger Stress
Wir haben nun die verschiedenen Arten von Stress unter dem Gesichtspunkt des Endergebnisses betrachtet – ob der Organismus mit Wachstum, Aufrechterhaltung oder Verlust reagiert. Wir sind jedoch noch nicht der Frage nachgegangen, was mit der Dauer des Stresserlebens ist – hat es Einfluss auf unseren Organismus? Die kurze Antwort lautet: JA!
Die Wissenschaft ist sich einig darüber, dass es diese zwei Entitäten, chronischer und akuter, kurzzeitiger Stress gibt. Jedoch ist aktuell noch nicht klar, inwieweit die beiden Stressformen ineinander übergehen, ob es einen distinkten Zeitpunkt gibt, welcher indikativ für den chronischen Stress ist und ob dies bei jedem Einzelnen gleich wäre [9].
Wesentlich ist aber zu wissen, dass es bestimmte physiologische Unterschiede gibt, die hinweisgebend darauf sind, in welchem Stresszustand sich ein bestimmter Organismus befindet.
Anzeichen und Charakteristika von akutem und chronischem Stress
Der Hauptspieler beim akuten Stress ist die besondere Instanz des vorher vorgestellten Sympathikus, nämlich das Mark der Nebennieren. Auf einen Stressor, welcher eine mehr oder weniger hohe Stressreaktion in uns auslöst, werden daraufhin reichlich Katecholamine ausgeschüttet. Substanzen wie Adrenalin und Noradrenalin fluten dann unseren Blutkreislauf und führen zur kurzzeitigen Blutzuckersteigerung, zum Puls und Blutdruckanstieg, aber auch zur Ausschüttung bestimmter pro-inflammatorischer Zytokine (Moleküle, die Immunzellen zur Arbeit motivieren). [10]
Eine Komponente, die diese Stressaktivität dann modulieren kann, ist das so genannte Cortisol. Dies ist ein Hormon, welches ebenfalls in der Nebenniere produziert wird, aber im Unterschied zum Adrenalin, im Mark. Es ist ein Glukokortikoid und ist charakterisierend für „chronischen Stress“. Dieses lässt wiederum die Immunantwort senken, wobei dennoch ein unterschwelliger Entzündungszustand vorbestehen kann, sowie ein erhöhter Blutdruck und Blutzucker. [10]
Darüber hinaus wird chronischer Stress definiert als längerfristiger Zustand, wobei eine durchgehende oder wiederkehrende Exposition gegenüber dieses Stressors gegenwärtig ist. Unterschiede in der Empfindung von chronischem Stress variieren von Person zu Person, können sich bei einer einzelnen Person auch situativ ändern [11].
Wir haben Begriffe definiert, die selbst in der Wissenschaft noch nicht gänzlich klar abgegrenzt sind und nicht stichhaltig an Kriterien festgesetzt werden können. Und dennoch ist es wichtig, diese Zustände voneinander abzugrenzen und sie abgetrennt voneinander zu verstehen. Denn, es zeigte sich, dass während akuter Stress zumal nervenaufreibend sein kann, dieser auch eher mit dem Eustress verbunden ist. Während auf der anderen Seite gezeigt worden ist, dass chronischer Stress in nächster Konsequenz zu Krankheit führen kann. So sind beispielsweise Depression [12] und Herz-Kreislauf-Erkrankungen [13], also Erkrankungen, die die heutzutage immer häufiger anzutreffen sind, erwiesenermaßen mit chronischem Stress zusammenzuhängen [14].
Inwieweit diese Erkrankungen Resultat von chronischem Stress oder die Ursache von langfristigem Stressempfinden sind, diskutieren wir im zweiten Teil dieses interessanten und wirklich alltäglichen Themenfeldes. Ebenso darfst du dich dann auch auf die Strategien freuen, welche effektives Stressmanagement ausmachen.
Fazit & Zusammenfassung
Dieser Beitrag handelte vom Thema Stress. Wir haben uns eines einfachen, bildlichen Erklärungsmodells zum besseren Verständnis des Stresses bedient und sind dann weiter in die wissenschaftlichen Definitionen von Stress eingestiegen. Du hast gelernt, dass Stress nicht gleich Stress ist und dass es verschiedene Formen von Stress gibt. Begriffe, wie Eu- oder Disstress stressen dich jetzt nicht mehr, da du bescheid weißt, was sich dahinter verbirgt.
Gleichzeitig haben wir aber auch gesehen, dass der Stressbegriff nicht nur sehr weit gefasst, sondern ist, sondern sich auch in einem steten Wandel befindet. Dabei affektiert Stress jeden auf unterschiedliche Weise. Eines ist jedoch sicher: Stress begegnet jedem und jeder!
Und du kannst dir nun getrost deine Meinung bilden, ob Stress nun wirklich die Verkörperung des Bösen darstellt oder ob dir Stress in kleinen, bewältigbaren Portionen doch nicht auch das Leben versüßen könnte.
Apropos versüßen : wie ist das eigentlich mit Kaffee und Stress? Die Antwort auf diese Frage findest du hier.
[1] Wehrwein, E. A., Orer, H. S., & Barman, S. M. (2016). Overview of the Anatomy, Physiology, and Pharmacology of the Autonomic Nervous System. Comprehensive Physiology, 6(3), 1239–1278. https://doi.org/10.1002/cphy.c150037
[2] Furness J. B. (2012). The enteric nervous system and neurogastroenterology. Nature reviews. Gastroenterology & hepatology, 9(5), 286–294. https://doi.org/10.1038/nrgastro.2012.32
[3] Gründl, M., Knoll, S., Eisenmann-Klein, M., & Prantl, L. (2012). The blue-eyes stereotype: do eye color, pupil diameter, and scleral color affect attractiveness?. Aesthetic plastic surgery, 36(2), 234–240. https://doi.org/10.1007/s00266-011-9793-x
[4] Low, P. A. (Ed.). (2011). Primer on the autonomic nervous system. Academic Press.
[5] Selye, H. (1936). A syndrome produced by diverse nocuous agents. Nature, 138(3479), 32-32.
[6] Selye H. (1975). Confusion and controversy in the stress field. Journal of human stress, 1(2), 37–44. https://doi.org/10.1080/0097840X.1975.9940406
[7] Lu, S., Wei, F., & Li, G. (2021). The evolution of the concept of stress and the framework of the stress system. Cell stress, 5(6), 76–85. https://doi.org/10.15698/cst2021.06.250
[8] Nageishi, Y. (2015). A critical review of Selye’s stress theory: The statistical analyses of Selye’s own experimental data disprove it. Psychology, 6(14), 1786-1794.
[9] Rohleder N. (2019). Stress and inflammation – The need to address the gap in the transition between acute and chronic stress effects. Psychoneuroendocrinology, 105, 164–171. https://doi.org/10.1016/j.psyneuen.2019.02.021
[10] Sapolsky, R. M., Romero, L. M., & Munck, A. U. (2000). How do glucocorticoids influence stress responses? Integrating permissive, suppressive, stimulatory, and preparative actions. Endocrine reviews, 21(1), 55-89.
[11] Segerstrom, S. C., & Miller, G. E. (2004). Psychological stress and the human immune system: a meta-analytic study of 30 years of inquiry. Psychological bulletin, 130(4), 601.
[12] Slavich, G. M., & Irwin, M. R. (2014). From stress to inflammation and major depressive disorder: a social signal transduction theory of depression. Psychological bulletin, 140(3), 774.
[13] Kivimäki, M., Virtanen, M., Elovainio, M., Kouvonen, A., Väänänen, A., & Vahtera, J. (2006). Work stress in the etiology of coronary heart disease—a meta-analysis. Scandinavian journal of work, environment & health, 431-442.
[14] Cohen, S., Janicki-Deverts, D., & Miller, G. E. (2007). Psychological stress and disease. Jama, 298(14), 1685-1687.